Baumverehrung
in Brauchtum und Überlieferung Nordwesteuropas

Die religiöse Verehrung von Bäumen hatte in Germanien und im Gebiet der Kelten eine überragende Bedeutung. Besonders Eichen, Eschen, Linden, Buchen, aber auch der Weißdorn und der Holunder standen bei ihnen in hohem Ansehen.

Zu Beginn unserer Zeitrechnung war der ganz überwiegende Teil Europas von ungeheuren Urwäldern bedeckt. Der hercynische Wald erstreckte sich östlich des Rheins bis in unbekannte Fernen. Germanen, die Cäsar befragte, berichteten ihm, daß sie ihn zwei Monate durchzogen hätten, ohne sein Ende zu erreichen. In dieser Zeit müssen Lichtungen wie Inseln in einem grünen Meer erschienen sein. Für die Menschen, die in einer solchen Umgebung lebten, war der Wald deshalb auch die grundlegende Erfahrungsebene ihrer Existenz. Es ist sicherlich nicht übertrieben zu sagen, daß der Mensch in jener Zeit in einer geradezu symbiotischen Beziehung zum Wald stand. Die Bäume wurden damals als Mitgeschöpfe im menschlichen Sinne erfahren. Einzelne Bäume hatten Namen, man unterhielt sich mit ihnen und man bat den Geist des Baumes um Vergebung, wenn es nötig wurde, ihn zu fällen. Wurde ein Baum ohne Not gefällt, zog dies die Todesstrafe nach sich. Nach altem germanischem Gesetz mußte die Wunde, die jemand einem lebenden Baum durch Abschälen seiner Rinde zufügte, mit den Eingeweiden des Täters "verbunden" werden. Die Letten, die erst im 14. Jahrhundert zum Christentum bekehrt wurden, benutzten die größte Eiche, die in ihrem heiligen Hain stand, als Orakel. Ja, es ist sogar überliefert, daß Bäume miteinander verheiratet wurden. Der Mensch hatte den Baum und den Wald gänzlich in sein Leben einbezogen.

Tempel im römischen oder christlichen Sinne waren in Germanien unbekannt. Gottesdienste wurden in den heiligen Hainen auf Waldeslichtungen abgehalten. Tacitus berichtet, daß diese Haine bestimmten Gottheiten zugeordnet waren. Papst Gregor III. erwähnt die Sitte, daß den Hainen selbst von den Germanen Opfer entgegengebracht worden sind, sie damit folglich selbst mit den Göttern gleichgesetzt wurden.

Berichtet wird von der Zerstörung des berühmten germanischen Heiligtums Tanfana, welches vermutlich eine gewaltige Lichtung mit einer steinernen Einfriedigung gewesen sein wird. Einen Altar kannte man nicht. Es gab an seiner Stelle den Opferstein, auf welchem die Götteropfer vollzogen wurden. Die Götter waren bei diesen Anlässen unsichtbar thronend in heiligen Bäumen, Steinen oder Quellen anwesend, oder man schuf ihnen in der Irminsul, von denen es unzählig viele gab, einen Platz zum Verweilen.

Bereits aus der vedischen Zeit Indiens ist das Pferdeopfer als das größte und wirksamste aller Götteropfer bekannt. Auch für die Germanen hatte es eine besondere Bedeutung. Besonders im Opfermonat September wurden die Opfer hauptsächlich bei den heiligen Eichen in Form der Pferdeköpfe dargebracht. Der Rest des Pferdes wurde im Walde aufgehängt. Die Menschen , ihr Vieh und das Land wurde zum Segen mit dem Blut der Opfertiere besprengt. Das Fleisch wurde nach der Opferfeier verzehrt.

Mit allen Mitteln versuchte man christlicherseits, diesen alten Glauben auszurotten. So ermahnte Papst Gregor I. die Königin Brunhilde, dafür zu sorgen, daß sie "die Franken abhalten möge von dem abergläubischen Dienst der Bäume und von den Opfern der Tierköpfe". Noch im 13. Jahrhundert wurde in einem Gesetz der Genuß des Pferdefleisches unter strenge Strafandrohung gestellt.

Die damals erfolgte Umerziehung des Volkes ist weitgehend erfolgreich gewesen. Wohl kaum jemandem ist bekannt, woher die heute noch vorhandene allgemeine Abneigung der Menschen in unserem Kulturkreis gegen den Verzehr von Pferdefleisch herrührt. Besonders im damaligen Sachsen haben sich die Menschen lange gegen diese Umerziehung gewehrt.

So sind noch bis heute deutliche Spuren dieser alten heiligen Verehrungsformen zu finden. Das in der niedersächsischen Landesflagge abgebildete Sachsenroß kann ganz sicher auf die Opferpferde der Sachsen zurückgeführt werden, die in der Nähe der heiligen Haine gehalten wurden. Auch war es damals üblich, die Köpfe der Pferdeopfer auf dem Dachfirst zu befestigen, um den Segen der Götter für das Haus zu erflehen. Nachdem auch dieser Brauch verboten war, wurden anstelle der tatsächlichen Köpfe Pferdeköpfe aus Holz auf den Dächern der niedersächsischen und westfälischen Bauernhäuser angebracht. Der interessierte Beobachter kann sie auch heute noch in großer Zahl in diesen Ländern finden.

Die Bemühungen der Kirche, den alten Glauben auszurotten, beschränkte sich natürlich nicht nur auf einzelne religiöse Gebräuche. Man versuchte zunehmend mit Erfolg den Kern des heidnischen Glaubens auszurotten. Und dieser Kern war sicherlich in der tiefen Verbundenheit der Germanen mit der sie umgebenden Natur zu sehen. Es war deshalb naheliegend, hier anzusetzen, um diese Beziehung zu zerstören.

Karl der Frankenkaiser erließ gleich mehrere Verordnungen zu diesem Thema. Im Aachener Kapitular von 789 heißt es:

Wegen der Bäume oder Felsen oder Quellen, wo einige törichte Menschen Lichter anzünden oder andere Andachten verrichten, verordnen wir mit allem Nachdrucke, daß dieser sehr böse und vor Gott verwerfliche Gebrauch, wo man Ihn immer bemerkt, abschafft und vertilgt werden soll.

Daß dieser Appell zunächst noch nicht so ganz erfolgreich gewesen sein kann, wird dann aus Karls Sachsengesetz deutlich. Hier heißt es:

Wer an Quellen oder Bäumen oder Hainen ein Gelübde tut oder nach heidnischem Brauch darbringt und zu Ehren der bösen Geister speist, hat, ist er Adliger 60, ist er ein Freigeborener 30, ist er ein Lite 15 Schillinge zu entrichten. Vermögen sie aber nicht die Zahlung gleich zu leisten, so sollen sie in den Dienst der Kirche gegeben werden, bis die Schillinge gezahlt sind.

Und im Jahre 794 läßt Karl in seinem Kapitular verkünden:

Man soll wohl achtgeben, daß die Bäume und Haine niedergelegt werden

Wie aus diesen Texten deutlich wird, arbeiteten Kirche und Obrigkeit in dieser Sache Hand in Hand. Von Bonifatius, dem Bekehrer der Germanen, wird berichtet, daß er bei Geismar eine Eiche "von ungeheurer Größe" fällte, die von den Menschen jener Zeit als heilig verehrt wurde.

Der Ort Geismar muß damals ein bedeutendes Heiligtum für die Germanen gewesen sein, denn das Wort Geismar bedeutet wörtlich übersetzt Sprudelquell oder auch Opferquell. Die Donareiche von Geismar wurde damals also offensichtlich gemeinsam mit der dazu gehörenden Opferquelle verehrt. Diese gemeinsame Verehrung von Bäumen und Quellen oder Steinen und Quellen entsprach dem damaligen allgemeinen Brauch der Menschen.

Baum und Stein sind das Shiva-Linga Symbol. Die Quelle ist das offenkundige Symbol der Shakti-Yoni . Werden sie gemeinsam angetroffen, handelt es sich um Orte höchster göttlicher Macht und Energie. Diese Orte waren die eigentlichen heiligen Plätze, die Tempel der Germanen. Sie im buchstäblichen Sinne des Wortes zu zerschlagen, war das Hauptanliegen der damaligen Machthaber. So wurde auf dem Konzil zu Nantes beschlossen, daß selbst die Steine, die das Volk an waldigen Plätzen verehrt, ausgegraben und an solche Stellen geworfen werden sollen, wo sie niemals mehr gefunden werden können.

Lange noch versuchten Männer und Frauen im Geheimen, das überlieferte Wissen ihrer Ahnen zu bewahren. Sie wurden aber sehr schnell zum Ziel der Verfolgung. Aus weisen Frauen und Druiden wurden nun Hexen und böse Zauberer gemacht. Ihre heiligen Handlungen, ihre Heilungen oder Riten der Verbundenheit mit der Natur und den alten Göttern wurde verteufelt und sie wurden mit hohen Geldbußen und körperlichen Züchtigungen hart bestraft. Wir wissen alle, daß die Kirche nur wenige Jahrhunderte später die endgültige Lösung dieses Problems mit den Hexenprozessen und dem daraus resultierenden millionenfachen Tod unschuldiger Frauen herbeiführte.

Aus diesem Grunde ist vom ursprünglichen heidnischen Brauchtum auch nichts mehr übriggeblieben. Wir kennen zwar noch Bräuche im Zusammenhang mit Hainen, Bäumen, Steinen oder Quellen, sie sind jedoch alle nur ein nachgemachter Abklatsch der ursprünglichen religiösen Riten unserer Vorfahren. Allein dadurch, daß sie überhaupt noch bestehen, ist erkennbar, wie mächtig sie einmal gewesen sein müssen. In Kenntnis dieser Tatsache war die Kirche genötigt, sie mit dem christlichen Kleid versehen bis in unsere Tage zu pflegen oder sie zumindest zuzulassen. Der eigentliche heilige Bezug zur Welt in der wir leben, ist allerdings unwiederbringlich verloren.

Es muß leider davon ausgegangen werden, daß die heutige immer weiter um sich greifende Umweltzerstörung bei uns nur deshalb dieses bedrohliche Ausmaß erreichen konnte, weil die natürlichen Einsichten der Menschen in die grundlegenden Zusammenhänge der Natur damals systematisch zerstört worden sind. Dies ist leider nicht nur vor 1.000 Jahren bei uns geschehen, sondern die gleichen Kräfte haben dies in den folgenden 1.000 Jahren auf der ganzen Welt praktiziert. Zuerst war es Europa, dann waren es die Kulturen Nord- und Südamerikas, Afrikas und schließlich die alten Traditionen in weiten Teilen Asiens. Dieser Prozeß reicht bis in unsere heutige Zeit und wird in diesen letzten Tagen des ausgehenden Jahrtausends wohl auch den allerletzten mit der Natur noch in weitgehender Übereinstimmung lebenden Stamm ereilen, um ihn an den "Segnungen der Zivilisation" teilhaben zu lassen.

Es sollen an dieser Stelle keine Schuldzuweisungen erfolgen. Und es soll auch nicht einem Zustand nachgetrauert werden, der endgültig verloren ist. Dies wäre auch insofern falsch, als auch die zerstörten Kulturen ihre Schwäche dadurch bewiesen haben, daß sie nicht in der Lage waren, den äußeren Einflüssen zu widerstehen.

Die Zerstörung der ursprünglichen Lebensweise konnte den eindringenden Fremdkulturen nur deshalb gelingen, weil das vollständige Wissen vom Leben bereits vorher schon lange nicht mehr zur Verfügung gestanden hat. Mit vollständigem Wissen ist hier immer das Wissen um die praktische Möglichkeit der Verwirklichung des Göttlichen im Menschen gemeint.

Auch ehemalige Inseln dieses Wissens, wie die Gebiete um den Himalaya herum, geraten zunehmend in die Gefahr, die letzten Reste der überlieferten Weisheit, der eindringenden Zivilisation zu opfern. Der soziale, kulturelle und religiöse Niedergang dieser Länder wie Indien, Nepal und Tibet ist ein beredtes Zeugnis für diese Situation. Abhilfe schafft hier nicht ein Kämpfen gegen diese Mißstände, sondern nur das Eintreten für die Wiederbelebung der alten Weisheit.

Quelle:
Ulrich Wendlandt, Der Weg der alten Zauberer - Vom Ursprung magischer Stäbe, Cersken-Kanbaz-Verlag