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Götterwelten der Inder Wenn es um die Vorstellung eines Zentrums der Welt in den Überlieferungen der Menschheit geht, finden wir in diesem Zusammenhang
vielfach auch das Symbol des Berges. Dies war ebenso wie beim Shiva-Linga zunächst ein rein mythisches Bild. Es war ein himmlischer Berg, nicht etwa einer, den man tatsächlich auf der Erde wiederfinden konnte.
Es ist
wahrscheinlich, daß der kosmische Berg Meru, wie er in der alten indischen Überlieferung beschrieben wird, hier das Ursymbol ist, von dem alle anderen entsprechenden Berge abgeleitet sind. Dies wird häufig auch noch im Namen
deutlich. So heißt dieser Berg z.B. bei den Mongolen Sumer, bei anderen Völkern Sumeru und Sumur, was seinen Namensursprung noch gut erkennen läßt.
Eine genaue Beschreibung des Meru findet sich im Vishnu Purana und im
Markandeya Purana.
Danach hat die Erde, hier ist im Sinne der puranischen Vorstellung die ganze Welt gemeint, einen Durchmesser von 10.000.000.000km (500.000.000 Yojanas, wobei ein Yojana der Tagesmarsch-Leistung
eines Heeres entspricht. Es wird allgemein gerechnet mit 1 Yojana = 20 km.). Auf dieser (himmlischen) Welt gibt es sieben sogenannte Inselkontinente. Es sind Jambu, Plakshna, Salmali, Kusha, Krauncha, Shaka und Pushkara. Diese
Inseln sind wiederum von sieben großen Meeren (Dvipas) umgeben. Jambu-dvipa bildet das Zentrum der Welt. Es hat einen Durchmesser von 2.000.000km (100.000 Yojanas). Und im Zentrum davon befindet sich der goldene Berg Meru. Er
hat die Form einer "Salatschüssel". Er ist 172.000km hoch und reicht 32.000km in die Erde hinein. Der Durchmesser seiner Gipfelplattform beträgt 64.000 km und an seiner Basis 32.000km.
Auf dem Hochplateau
befindet sich die im ganzen Himmel berühmte goldene Stadt Brahmas. Um diesen Ort herum sind die Residenzen
der Götter Indra, Yama, Varuna, Kuvera, Vivasvat, Soma, Agni und Vayu angeordnet. Sie werden als die Hüter der Welt (Lokapalas) bezeichnet, da sie über die acht Gegenden des Weltenkreises herrschen. Indra, der Götterkönig
herrscht über den Osten, Agni, Gott des Feuers über den Südosten, Yama, der Gott des Todes über den Süden, Surya, der Sonnengott über den Südwesten, Varuna, der Gott des Wassers über den Westen, Vayu, Gott des Luftelements
herrscht über den Nordwesten, Kuvera, Gott des Reichtums herrscht über den Norden und Soma, Gott der Planetenkonstellationen (des Schicksals der Menschen) über den Nordosten.
Das Land Bharata (Indien) befindet sich im
Süden hiervon. Der heilige Ganges entspringt auf dem Meru und fließt in vier Strömen in die vier Himmelsrichtungen ab. Unter dem Meru befinden sich die Unterwelten der Dämonen. Ganz unten lebt die Riesenschlange Vasuki, die den
Berg Meru auf ihrem Haupte trägt. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, auf alle erwähnten Einzelheiten einzugehen, die im Vishnu Purana im Zusammenhang mit dem Berg Meru beschrieben sind. Dies ist an dieser Stelle auch
nicht erforderlich. Die Idee des kosmischen Berges als Mittelachse der Welt und als Heimat der Götter finden wir an vielen Orten der Erde in unterschiedlicher Weise beschrieben.
Besonders vielfältig sind die
Beschreibungen des Berges als Zentrum der Welt bei den asiatischen Völkern. Die Tataren stellten sich vor, daß ihre Götter in der Mitte des Himmels auf einem goldenen Berg sitzen. Oftmals ist die Spitze des Berges mit dem
Polarstern als Fixpunkt verbunden. Und immer wieder findet sich auch die Vorstellung der verschiedenen Ebenen oder Stockwerke des Berges, die uns bereits vom Meru her bekannt ist.
In den asiatischen Kulturen ist die
Vorstellung des kosmischen Berges eng mit den naturreligiösen Vorstellungen des Schamanismus verbunden. Der Schamane ersteigt ihn im Traum oder in der Ekstase, um über ihn zu den himmlischen Regionen aufzusteigen, um dort mit
den Göttern und Geistern zu kommunizieren, und um seine heilerischen oder seherischen Aufgaben zu erfüllen.
Das Bild des kosmischen Berges, wie wir es z.B. beim Meru kennengelernt haben, das Bild der Säule oder auch das
der Weltenschlange und ebenso die bildlichen Vorstellungen der Götter selbst, sind allegorische Beschreibungen der Wirklichkeit der himmlischen Schöpfungsebene, die sich unserem Alltagsverständnis entzieht.
Es soll an
dieser Stelle noch einmal daran erinnert werden, daß solche Bilder Hilfen darstellen, um eine Realität wiederzugeben, die zu komplex ist, um unserem Denkvermögen faßbar zu sein. Es ist deshalb erforderlich, daß sie durch ein
Bild oder ein Symbol in den menschlichen Aneignungscode übertragen wird. Es braucht nicht betont zu werden, daß diese Bilder nicht etwa auf der Phantasie irgendeines "Dichters" beruhen. Es sind die geistigen
Entsprechungen der tatsächlich existierenden Wirklichkeit subtilerer Schöpfungssbereiche.
Diese Realität des Himmels hat ihre Entsprechungen auf der grobstofflichen irdischen Ebene. So können reale Berge, reale Säulen
oder auch reale Abbildungen eines Gottes ein ebenso reales Spiegelbild der himmlischen Wirklichkeit bilden.
Wir können Götter als die regierenden Instanzen bestimmter Gesetze der Natur interpretieren. Sie sind deshalb
allgegenwärtig und auch keinesfalls auf einen weit entfernten Himmel beschränkt. Wir müssen beginnen, uns von der naiven Vorstellung einer fernen, entrückten Götterwelt zu lösen. Der Himmel ist ständig hier bei uns und in uns.
Aus diesem Grunde wird in den Puranas meistens gar nicht exakt zwischen der Beschreibung der himmlischen Wirklichkeit und der materiellen irdischen Wirklichkeit unterschieden. Ist es doch jeweils immer nur eine Wirklichkeit,
die ihre Entsprechung auch jeweils in der anderen Lebensdimension hat. Dies gilt für die beiden Bereiche des Mikrokosmos und des Makrokosmos ebenso, wie für die Entsprechungen der groben materiellen und der subtilen himmlischen
Schöpfungsebene.
Leider ist das Wissen um diese Zusammenhänge den meisten Menschen heute immer noch völlig unbekannt. Es ist zu vermuten, daß die Macht der Maya selbst dafür sorgt, daß sich dies so entwickelt hat. Wer
jedoch auf dem Wege der spirituellen Evolution die ersten Schritte erfolgreich getan hat, ist auch zunehmend in der Lage, diese Wirklichkeit tatsächlich zu verinnerlichen.
Das Wissen um diese Zusammenhänge wurde uns
nicht nur in den Veden und Puranas der Inder oder in der Edda der Germanen überliefert. Die vielleicht berühmteste Offenbarung dieser Weisheit haben wir in Form der Tabula Smaragdina, deren Inhalt der mythischen Gestalt des
Hermes Trismegistos zugerechnet wird. Von ihm wird überliefert, daß er ein Sohn des Göttervaters Zeus und der Nymphe Maia gewesen sei. Auf dieser geheimnisvollen Smaragdtafel, die als sein Vermächtnis für die Menschheit gilt,
und deren Text uns durch die Jahrtausende überliefert wurde, heißt es eingangs:
Es ist wahr ohne Lüge, gewiß und sehr wahr.
Was das Untere ist, ist wie das, was das Obere ist. Und das, was das Obere ist, dient,
wie das, was das Untere ist, um die Wunder einer Sache zu Stande zu bringen. Und wie alle Dinge von einem herstammen, durch den Plan eines: so stammen alle geschaffenen Dinge von dieser einen Sache her durch
Adoption.
Wenn wir beim Beispiel des himmlischen Berges Meru bleiben, dann bedeutet dies, daß er seine Entsprechung auch auf der irdischen Ebene haben muß. Es hat über alle Zeiten der menschlichen Kultur hinweg immer
wieder Menschen gegeben , die in der Lage waren, diese Wahrheit durch eigene Anschauung entweder in ihrer Gesamtheit oder in Teilen zu bestätigen.
So hat der Meru im Berg Kailash seine irdische Entsprechung. Er ist in
Indien hauptsächlich als der Wohnsitz Shivas bekannt, auf dem er mit seiner Gemahlin Parvati lebt. Seit ältesten Zeiten wurden aber auch in unserem Kulturkreis bestimmte tatsächlich existierende Berge als Wohnsitze von Göttern
ausgemacht. Beispiele hierfür gibt es in großer Zahl. Aus der griechischen Mythologie ist der Olymp als Sitz der antiken Götterwelt auch heute noch allgemein bekannt. Die gleiche Funktion hat der Fudschijama in Japan ebenso,
wie der Kilimanscharo in Afrika oder all die vielen tausend anderen bekannten und unbekannten Berge auf der Welt, die selbst bei uns im mitteleuropäischen Bereich als Sitz eines oder mehrerer Götter oder Geistwesen bekannt
waren.
Kailash
Bei uns wurden solche heiligen Berge der Frühzeit schnell christianisiert. Dies ist der Grund dafür, daß sich auf so vielen Bergen, oft auch außerhalb von Ortschaften, Kirchen oder Kapellen befinden. Ja man kann sagen, je heiliger der Berg war, um so gewaltiger war oder ist auch das christliche Bauwerk auf seiner Kuppe. Häufig wurden diese Berge dem heiligen Michael geweiht, der die Funktion des vorchristlichen Sonnengottes erfüllen mußte. In England haben wir das Beispiel des Berges von Glastonbury, auf dem eine dem Hl. Michael geweihte Kirche steht. Es war der heilige Berg des keltischen Gottes Gwyn ap Nudd. In Frankreich ist es der bekannte Mont St. Michel, der in vorchristlicher Zeit ein heiliger Sonnenberg war, ebenso wie St. Michael’s Mount an der südwestlichen Spitze Englands bei Penzance.
Die Idee von der Gleichsetzung bestimmter Berge mit der Achse der Welt wird besonders am Berg Arunchala deutlich.
Im Skanda-Purana, im Abschnitt Arunchalamahatmya, berichtet Brahma, der Schöpfer von der Entstehung dieses heiligen Berges Arunchala. Er erzählt hier noch einmal die Begebenheit von der Erschaffung des Linga als Feuersäule durch Shiva, die bereits vorgestellt wurde. Nun wird diese Begebenheit weitererzählt.
Nachdem Brahma und Vishnu Gott Shiva als den eigentlichen Herrn der Welt erkannt hatten, verehrten und huldigten sie ihm in jeder nur erdenklichen Weise voller Hingabe und Demut. Hierdurch erwarben sie sich bei ihm eine solche Gunst, daß er ihnen als Zeichen seines Wohlwollens die Gnade der Erfüllung eines Wunsches gewährte.
Sie wünschten sich daraufhin, daß er sich auf Erden in seiner Form des Linga physisch manifestieren sollte, um den Menschen hierdurch die Möglichkeit der Erlösung zu geben. Daraufhin nahm Shiva die Gestalt eines "festen" Linga in Form des Berges Arunchala an.
Das Skanda-Purana betont in ihrem Bericht über dieses Ereignis die völlige Übereinstimmung dieses Linga mit dem Ur-Linga, der Feuersäule. Es heißt dort:
Dieser Linga, der wohlbekannt ist als Arunchala, und den man auf der Erde sehen kann, ist wirklich Taijasa (d.h. von feuriger oder strahlender Natur) und die alleinige Ursache der ganzen Welt.
Der Berg Arunchala ist in Indien einer der wichtigsten Wallfahrtsorte für den gläubigen Hindu geworden. Zu seinen Füßen liegt der riesige Tempel Tiruvannamalai, in dem jährlich ein zehntägiges Fest zu Ehren Shivas stattfindet. Es endet mit dem Krittika-dipa, einem Feuerritual, in dem ein riesiger Feuer-Linga entfacht wird. Das Goldene Zeitalter nach Tulsidas, Ramcaritmanas
Als Rama seinen Thron bestieg, freuten sich die drei Welten, und alles Leid war vorbei. Keiner
befehdete mehr den anderen; denn durch Ramas glänzende Herrlichkeit waren alle Unterschiede verschwunden. Alle Menschen befolgten die Regeln der Veden, ein jeder getreulich nach den Vorschriften, die seiner Kaste entsprachen.
So fanden alle Glück, und es gab weder Furcht noch Leid, noch Krankheit. In Ramas Reich litt keiner mehr unter Gebrechen des Leibes, unter Naturgewalten oder (wilden) Tieren. Alle Menschen liebten sich gegenseitig und folgten
getreulich den ihnen entsprechenden Vorschriften nach vedischem Brauche. Rechtes Verhalten in allen seinen vier Teilen (Askese, Wissen, Gnade und Gaben) erfüllte die Welt. Sünden gab es selbst im Traum nicht mehr. Männer und
Frauen waren in liebevoller Verehrung Ramas versunken, und alle hatten ein Recht auf Erlösung. Es gab keinen Tod im Kindesalter, keiner litt Schmerz, alle waren schön und besaßen gesunde Körper. Keiner war arm, keiner betrübt
und keiner elend. Keiner war dumm und keiner ohne Vorzüge. Alle waren frei von Hochmut, den rechten Lebensregeln ergeben und voller guter Taten. Alle Männer und Frauen waren klug und tugendhaft. Alle erkannten die Vorzüge
anderer an, waren gelehrt und im Besitz des Wissens. Alle waren dankbar und nicht in Falschheit erfahren. Im Reiche Ramas litt niemand in der belebten und unbelebten Welt unter Jahres- und Tageszeit, an seinen Taten aus
früheren Geburten, an seiner bösen Anlage und unter seinen schlechten Eigenschaften. ...
Das Glück und den Reichtum in Ramas Reich können selbst der Schlangenkönig und Sarada nicht beschreiben. Alle Männer und Frauen
waren freigebig, halfen einander und verehrten die Füße der Brahmanen. Alle Männer waren nur einer Frau treu, und die Frauen sorgten für das Wohl ihrer Gatten in Gedanken, Worten und Taten. ...
In den Wäldern blühten die
Bäume immer und trugen beständig Früchte. Elefanten und Löwen lebten zusammen. Vögel, Gazellen (usw.) vergaßen die ihnen eingeborenen Feindschaften, und die Liebe untereinander wuchs bei allen. In den Wäldern sangen die Vögel
und zahlreiche Herden von Gazellen grasten ohne Furcht und freuten sich. Ein sachter, kühler, wohlriechender Wind wehte, es summten die Bienen und sie trugen den Honig weg. Von Schlingpflanzen und Bäumen tropfte der Honig, so
wie jeder wünschte, die Kühe gaben Milch, soviel man wollte. Die Erde stand immer in voller Ernte; denn das Goldenen Zeitalter war in dem Silbernen Treta-Zeitalter wieder erschienen.
Auf den Bergen taten sich
verschiedene Edelsteinminen auf, weil sie den Herrn, die Seele der Welt, in der Welt erkannt hatten. In allen Flüssen strömte viel kühles, sauberes, gutschmeckendes und glückbringendes Wasser. Die Ozeane blieben in ihren
Grenzen. Sie warfen Perlen an ihre Ufer, und die Menschen sammelten sie auf. Alle Seen waren gefüllt mit Lotusblumen, und alle zehn Himmelsrichtungen lachten überaus zufrieden. Der Mond schien mit allen seinen Strahlen auf die
Erde, und die Sonne wärmte nur so viel, wie nötig war. Die Wolken regneten, wenn man es wollte, in Ramacandras Reich.
Text zitiert aus: Ramcaritmanas, S.78ff Quelle: Ulrich Wendlandt, Der Weg der alten Zauberer -
Vom Ursprung magischer Stäbe, Cersken-Kanbaz-Verlag
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