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Der Weltenbaum als Säule der Welt Alle großen Kulturen des
Altertums haben ihre Vorstellungen von der zentralen Säule der Welt auch auf das Symbol des Baumes übertragen. Damit wurde er zum Weltenbaum oder Lebensbaum der Menschheit. Wir finden deshalb in den Mythen fast aller Völker der
Erde das Bild des kosmischen Baumes, dessen Stamm als Mittelpunkt und Zentrum der Welt den Himmel trägt. Er verbindet die verschiedenen Welten miteinander, den Himmel, die Erde und die Unterwelt. Es ist sicherlich nicht
übertrieben, wenn man sagt, daß das Sinnbild des Baumes vielleicht das grundlegendste, gewaltigste und älteste aller Ursymbole der Menschheit ist. In den Mythen der Völker finden sich vielfältige Baumsymbole, die
seine kosmische Funktion erklären:
Aus der griechischen Mythologie kennen wir den Baum des Lebens, der von den göttlichen Nymphen, den Hesperiden zusammen mit dem hundertköpfigen Drachen Ladon im "fernen
Westen" bewacht wird. Auf ihm wachsen die goldenen Äpfel, die Gäa, die Göttin der Erde, als Hochzeitsgeschenk für Gott Zeus und seine Gemahlin Hera wachsen ließ. Vom griechischen Gott Adonis ist überliefert, daß er aus
dem Stamm eines Baumes geboren wurde. Die Nähe zum schon bekannten indischen Bilde der Gottheit, die sich aus dem Linga offenbart, ist offensichtlich.
Berühmt bis in unsere Tage sind die heilige Ulme von Ephesos und
heilige Bäume, die in Tempelanlagen zu Ehren der jeweiligen Gottheit verehrt wurden. Bekannt ist der Olivenbaum auf der Akropolis, der Palmbaum auf Delos und der Weidenbaum auf Samos. Im Heiligtum des Äskulap zu Cos stand der
heilige Zypressenbaum. Pindaros (um 500 v.Chr.) berichtet uns von dem heiligen Ölbaum, der zu Olympia neben dem Eingang stand. Von ihm hatte ein Knabe mit einem goldenen Messer die Siegerkränze zu schneiden. Herkules soll
diesen Baum vom Volk der Hyperboreer erhalten haben um ihn nach Griechenland zu bringen. Es ist bekannt, daß in alter Zeit die Könige unter heiligen Bäumen im Angesicht der Gottheit gekrönt wurden.
Auch Rom hatte
seine verehrungswürdigen Bäume, von denen man sagte, daß sie heiliger seien als die Götterbilder. Häufig wurden unter ihnen Altäre errichtet. Auf dem Forum wurde der heilige Feigenbaum des Romulus bis in die Zeit des
Kaiserreiches verehrt. Am Hange des Palatinus wuchs ein Kornellkirschbaum, der lange Zeit als eines der größten Heiligtümer Roms angesehen wurde. Plinius sagt, daß Bäume die ersten Tempel der göttlichen Wesen waren.
In
Ägypten gab es eine Vielzahl heiliger Bäume. Zu nennen sind hier der Ishedbaum und die Nilakazie. Besondere Bedeutung hat die heilige Sykomore, ein Feigenbaum. Es ist der Baum, der das Reich des Todes aber auch den Himmel der
Götter darstellt.
Die Himmelsgöttin Nut, erscheint den Verstorbenen in Baumgestalt, um sie im Reich des Todes mit Speise und Trank zu begrüßen.
Der Bezug von Baum und Tod findet sich vielerorts auf der Erde. Die
Körper der Toten werden dem Baum übergeben, indem sie auf Bäumen oder in Baumhöhlungen bestattet werden. Sie werden damit sozusagen dem Himmel in der Form des Baumes überantwortet.
Auch vom prygischen Gott Attis wissen
wir, daß er in der Form der Kiefer verehrt wurde.
In der iranischen Tradition finden wir einen Baum des ewigen Lebens, den Gaokerena. Auf ihm wachsen Früchte, deren Genuß ewige Jugend versprechen.
Bei den
Sumerern wurde der Himmelsbaum schon vor mehr als 5.000 Jahren verehrt. Im Gesang von Eridu, der uns überliefert wurde, wird er auf wunderbare Weise verherrlicht. Seine weiße Wurzel reichte in die Tiefe. Sein Sitz war der
Mittelpunkt der Welt, sein Laub war das Lager von Zikum, der Mutter. In das Herz des heiligen Hauses, das seinen Schatten ausbreitet wie ein Wald, ist kein Mensch eingetreten; dort (ist das Haus) der mächtigen Mutter, die über
den Himmel hingeht. In der Mitte davon war Tammuz.
Im hier geschilderten Bilde werden eigentlich alle Aspekte, die bisher im Zusammenhang mit dem Himmelsbaum, dem Zentrum oder der Achse der Welt bereits erwähnt wurden,
noch einmal in prägnanter Form zusammengefaßt. Wieder reicht der Baum von der tiefsten Unterwelt bis über den Himmel hinaus in den Bereich der Ewigkeit. Seine eigentliche Natur sein Zentrum und somit das Zentrum des Zentrums
der Welt ist Tammuz, hier als Übergott dargestellt, vergleichbar Mahavishnu oder dem germanischen Allvater, Ausdruck von Shiva. Dabei ist er im Baum gleichzeitig vereint mit Zikum der göttlichen Mutter, der Personifikation der
Shakti. Wieder und wieder finden wir überall auf der Welt in diesen beiden Aspekten die grundlegenden Zusammenhänge der Wirklichkeit offenbart.
Und auf einen weiteren wichtigen Aspekt soll schon an dieser Stelle
aufmerksam gemacht werden: Wir haben erfahren, daß die Vorstellung des Weltenbaumes als Himmelsachse bei allen Völkern dieser Erde, die dieses Bild kennen, die Vorstellung beinhaltet, daß diese Achse jeweils senkrecht auf den
Himmelspol, also den Polarstern weist. Am Nordpol ist dies auch tatsächlich der Fall, dort hat man den Himmelspol genau senkrecht über sich. Je weiter wir uns jedoch vom Pol entfernen, in eine um so deutlichere Schräglage
würde auch die Weltenachse geraten. Das bedeutet, daß wir den gemeinsamen Ursprung dieser grundlegenden Vorstellung im äußersten Norden unseres Erdballes suchen müssen, denn nur dort kann sich diese Vorstellung in
Übereinstimmung mit der täglichen Erfahrung entwickelt haben.
Zitiert mit Genehmigung des Autors aus: Ulrich Wendlandt, Der Weg der alten Zauberer - Vom Ursprung magischer Stäbe,
Cersken-Kanbaz-Verlag
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